Neurobic - Urlaub für das Gehirn

Evaluation des Stocktrainings

Am Gymnasium Lüneburger Heide

Dipl. Psych. Dr. Marco Franze
bis Dezember 2006 wiss. Mitarbeiter der Universität Lüneburg seit Januar 2007 wiss. Mitarbeiter der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Greifswald, Februar 2007

Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Ergebnisse der hier dargestellten Evaluation lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Vorbemerkung: Sämtliche Ergebnisse basieren auf einer sehr kleinen Stichprobe, sodaß damit auch eine besondere Vorsicht bei der Interpretation nötig ist.

Es ist ein signifikanter Anstieg des Konzentrationsleistungswertes (d2-KL) vom ersten zum zweiten sowie vom zweiten zum dritten Meßzeitpunkt zu berichten. Dabei handelt es sich möglicherweise aber eher um einen Trainingseffekt in Hinblick auf das Ausfüllen des d2-Fragebogens.

  • Ein Rückgang der Mittelwerte in der Skala „Psychische Belastungen durch die Schule“ ist zu berichten. Dadurch, dass dieser Rückgang jedoch erst in Hinblick auf den Vergleich des zweiten mit dem dritten Meßzeitpunkt signifikant wird, kann dies eher als Effekt des Neurobic-Traings interpretiert werden.
  • Geschlechtsspezifische Unterschiede sind nur im Konzentrationsleistungswert zum zweiten Meßzeitpunkt zu berichten.
  • Das Neurobic-Training wird von den Schülerinnen und Schülern mehrheitlich akzeptiert.

Der Effekt des Neurobic-Traings ist damit nicht gänzlich erwiesen; erste (positive) Befunde liegen mit der hier vorgelegten Evaluation jedoch vor.


Einleitung
Effekte von Sport bzw. Bewegung auf die Konzentrationsfähigkeit sind aus der Forschungsliteratur bekannt: Wamser & Leyk (2003) berichten z.B. von einer Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit durch „Bewegten Unterricht“ bei Hauptschüler/innen der Klassenstufe 5 – 8. Dabei wiesen Schüler/innen der Gruppe „bewegter Unterricht“ eine kognitive Leistungsfähigkeit auf, die um 6% über den Maximalwerten der Kontrollgruppe (kein bewegter Unterricht) lag. Es wird daraus geschlossen, daß eine Vielzahl von Bewegungsangeboten und regelmäßiger Sport eine konzentrationsfördernde Wirkung haben.

Das Bewegungsangebot „Neurobic“ der Firma „Gehlen Team International“ beabsichtigt mit seinem Trainingskonzept „GTS-Neurobic®“ ebenso einen Beitrag zur Förderung der Konzentrationsfähigkeit bei Schülern zu leisten[1]. Auf der Homepage von „Gehlen Team International“ wird das Training folgendermaßen beschrieben:

„Das Hauptmerkmal des GTS-Neurobic ist die Körperschulung in Form von richtungskonträren und spiegelverkehrten Bewegungen. Diese zum Teil spielerisch ablaufenden Übungssequenzen mit speziellen Neurobic-Sticks stellen einen wichtigen Bestandteil der Förderung der Konzentration und Koordination dar. Das Training: aufgrund des beidhändigen Trainierens wird die sonst weniger stark geforderte Seite genauso intensiv mit einbezogen. Beide Gehirnhälften werden gleich stark aktiviert, miteinander verknüpft und der Aufbau neuronaler Vernetzungen deutlich gefördert. Durch die musikalische Untermalung wird außerdem das Rhythmusgefühl ausgebaut und praktischer Nutzen erfahrungsgemäß mit Vergnügen verbunden.“

 

Da das oben genannte Ergebnis von Wamser & Leyk bzw. die daraus gezogenen Schlußfolgerungen jedoch ohne entsprechende empirische Analyse natürlich nicht einfach auf das „GTS-Neurobic®“ übertragen werden können, gab es seitens des Gymnasiums Lüneburger Heide wie auch des Geschäftsführers von Gehlen Team International, der diese Methode entwickelt hat, Interesse an einer wissenschaftlichen Begleitforschung. Sie soll klären, inwieweit signifikante Veränderungen in der Konzentrationsfähigkeit bei Schüler/innen der Klassenstufe 5 feststellbar sind und ob diese Veränderungen eindeutig eine Konsequenz des Trainings darstellen. Welche Prozesse sich bei der Durchführung des Trainings im Gehirn abspielen bzw. in welcher Weise das Training neuronale Veränderungen bewirkt, ist hingegen kein Gegenstand dieser Evaluation.


Beschreibung des Evaluationskonzepts
Dieser Abschnitt stellt das methodische Vorgehen im Rahmen der externen Evaluation vor; die Evaluationsergebnisse sind dem dritten Abschnitt dieses Berichts zu entnehmen.

Untersuchte Variablen
Das „GTS-Neurobic®“ stellt eine mögliche Einflussgröße, die so genannte unabhängige Variable dar. Durch sie sollen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistungen, die so genannte abhängige Variable, vorhergesagt werden (vgl. 4.1.1). Als weitere abhängige Variable wurden psychosoziale Merkmale erfasst, die in Abschnitt 3.1.2 beschrieben werden.


Erfassung der Konzentrationsleistungen
Zur Überprüfung der Konzentrationsleistungen wurde der „d2- Aufmerksamkeits-Belastungs-Tests“ eingesetzt (Brickenkamp, 2002). Der d2 zählt zu den am häufigsten verwendeten psychodiagnostischen Verfahren in Deutschland. Zur Anwendung kommt er hauptsächlich im Bereich der Klinischen Psychologie, wird jedoch auch im Bereich der Pädagogischen Psychologie eingesetzt.

Dieses zuverlässige (reliable) und valide Verfahren mißt allgemeine Voraussetzungen zur Erzielung von Leistungen (individuelle Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistungen). Der d2 ist ein psychometrisches Verfahren, das für Personen zwischen 9 und 60 Jahren geeignet ist. Seit 2002 liegt die neunte und neu normierte Auflage dieses Tests vor.

Die Probanden erhalten beim d2 die Aufgabe, den Buchstaben d, der mit exakt zwei Strichen versehen ist, in einer Reihe mit weiteren Buchstaben oder „falschen d´s“ korrekt zu identifizieren. Dabei besteht der Testbogen aus insgesamt 14 „Buchstabenreihen“, wobei jede Reihe unter zeitlicher Beschränkung zu bearbeiten ist (20 Sekunden pro Reihe). Ein Beispiel für eine solche Reihe ist Abb. 1 zu entnehmen (die „richtigen“ Buchstaben wurden jeweils fettgedruckt) (Abb. 1).

studie_lueneburger_heide

 

Die Auswertung des d2 kann über die Ermittlung des Konzentrationsleistungswertes KL erfolgen: dabei wird die Anzahl richtig durchgestrichener relevanter Zeichen pro Zeile kumuliert und davon die falsch angestrichenen Zeichen (so genannte Verwechslungsfehler; Typ F2) substrahiert. Daher gilt dieser Meßwert auch als verfälschungsresistent.


Erfassung psychosozialer Variablen
Abgesehen von der Verwendung des d2 wurden weitere Variablen berücksichtigt, die insbesondere den Aspekt der psychischen Gesundheit (im Setting Schule) umfassen. Diese Skalen entstammen ursprünglich einem Erhebungsinstrument von Eder (1995). Im Rahmen der hier vorgestellten Evaluation kam jedoch lediglich eine gekürzte Fassung zur Anwendung (insgesamt 26 Items). Dabei handelt es sich um folgende Meßinstrumente:

  • Die Skala „Psychische Belastung“ beinhaltet Merkmale, die von den Betroffenen als akute oder überdauernde Beeinträchtigung ihres psychischen oder psychophysischen Wohlbefindens erlebt werden und durch die Schule zumindest mitbedingt sind.
  • Die Skala „Schulstress“ fokussiert hemmende Begleitumstände der Leistungserbringung in der Schule, die zusammen mit dem Aspekt der Überforderung die wesentlichen Merkmale einer Streßsituation bzw. Streßreaktion erfassen.
  • Die Skala „Psychovegetative Beschwerden“ beinhaltet Störungen, die im Sinne unspezifischer Folgewirkungen chronischer Belastungen verstanden werden.
  • Die Skala „Negative Stimmung“ erfasst negative Gefühle, insbesondere psychophysische Erschöpfung, Gefühle des Überflüssigseins und der Verzweiflung.
  • Die Skala „Positive Stimmung“ erfasst positive Gefühle bzw. psychisches Wohlbefinden.


Akzeptanz des Trainings
Ergänzend zur Erfassung der Konzentrationsleistungen und der Variablen der psychischen Gesundheit wurde ebenso ein Fragebogen zur Abschätzung der Akzeptanz des Trainings beigelegt, der aus folgenden 9 Items besteht:

  • Was hat Dir am Neurobic gefallen und was nicht? Gefallen hat mir:
  • Was hat Dir am Neurobic gefallen und was nicht? Gefallen hat mir nicht:
  • Hat Dir das Neurobic Spaß gemacht?
  • Fandest Du das Neurobic interessant?
  • Würdest Du gerne auch noch weiterhin an dem Neurobic teilnehmen?
  • Hast Du Schwierigkeiten bei den Neurobic-Übungen gehabt?
  • Wenn Du „Ja“ angekreuzt hast: Welche Schwierigkeiten waren das genau?
  • Möchtest Du uns noch etwas mitteilen?

Die Items 1, 2, 7 und 8 stellen offene Fragen dar. Die geschlossenen Fragen waren mit einem dreistufigen Antwortformat und zusätzlichen symbolischen Markern versehen (vgl. Tab. 1):

studie_lueneburger_heide1

Evaluations-Design
Da im Rahmen dieser Evaluation leider kein Kontrollgruppendesign möglich war, kam ein sogenanntes Zeitreihen-Design zur Anwendung (Within-Design; Campbell & Stanley, 1967). Mithilfe dieses Designs wird überprüft, inwieweit möglicherweise auftretende Veränderungen der Konzentrationsfähigkeit als tatsächliche Effekte des Trainings und nicht als zufällige Schwankungen interpretierbar sind. Die folgende Tabelle 2 stellt dieses Design und die einzelnen Meßzeitpunkte und Evaluationsphasen dar (Tab. 2):

studie_lueneburger_heide2

 

Das „GTS-Neurobic“ wurde ab dem 01.11.2006 am Gymnasium Lüneburger Heide bei Schüler/innen der Klassenstufe 5 eingesetzt. Die Überprüfung der Konzentrationsfähigkeit und die Erfassung der psychischen Gesundheit erfolgten jeweils im Anschluß an die „Neurobic-Stunde“, um Einflüsse des Biorhythmus der Kinder auf die Testergebnisse zu möglichst minimieren. Das Prozedere an diesem Wochentag war am 01.11., 22.11. und 13.12. immer dasselbe: zunächst erfolgte die Intervention („GTS-Neurobic“), anschließend wurde der d2 verteilt, die Instruktion vorgelesen und der d2 durchgeführt. Anschließend wurde der Befindlichkeitsbogen mit den Variablen zur psychischen Gesundheit ausgefüllt. Ergänzend dazu war am 13.12. auch noch der Akzeptanzbogen auszufüllen.


Datenschutz
Damit eine exakte Zuordnung der Schüler/innen zu den einzelnen Messzeitpunkten möglich ist, erhielt jede/r Schüler/in das Fragebogenexemplar nach der im Klassenbuch vorgenommenen numerischen Auflistung der Schüler/innen. Diese Nummerierung wurde nicht als weitere Informationsquelle genutzt und auch nicht an Dritte weitergegeben. Somit ist eine Anonymität der ausfüllenden Personen und eine richtige Zuordnung der Daten gewährleistet. Zudem wurden die Bögen nach dem Ausfüllen gesammelt und verschlossen direkt an den Evaluator geschickt, sodaß ein unauthorisierter Kontakt zu den Fragebögen weitgehend ausgeschlossen ist. Die für wissenschaftliche Zwecke weiter zu verwendenden Daten enthalten keine personalisierbaren Hinweise: die Schüler/innen sind nur durch eine Kodierung unterschieden. Der jeweilige Zuordnungsschlüssel ist nur dem Gymnasium Lüneburger Heide bekannt, wobei der hier vorgelegte Evaluationsbericht keine konkreten Angaben zu bestimmten Codenummern enthält und somit Rückschlüsse auf einzelne Schüler/innen nicht möglich sind. Darüber hinaus wurde auch ein Elternbrief erstellt, der über die entsprechende Studie informierte bzw. auf die Gewährleistung der Anonymität hinwies.


KOMPLETTEN ARTIKEL DOWNLOADEN
Wir haben Ihr Interesse geweckt? HIER können Sie sich den kompletten Bericht als PDF-Datei herunterladen.